Auslegung einer Vollmacht bezüglich ihrer Geltung über den Tod hinaus

Die Vollmacht über den Tod hinaus, oder auch transmortale Vollmacht, ist immer dann empfehlenswert, wenn unverzüglich nach dem Ableben des Erblassers rechtsgeschäftliche Handlungen vorgenommen werden müssen oder sollen. Denn in der Praxis können Erbnachweise bzw. Testamentsvollstreckerzeugnisse häufig erst nach einiger Zeit vorgelegt werden. Im Übrigen können notarielle beurkundete Generalvollmachten bzw. Vorsorgevollmachten, soweit sie transmortal ausgestaltet sind, auch dafür verwendet werden, ohne öffentlichen Erbnachweis in Form eines kostenintensiven Erbscheins Immobilienverkäufe oder Erbauseinandersetzungen im Namen der Erben durchzuführen. Hierzu hatten wir bereits an anderer Stelle in diesem Blog Stellung genommen.

Geltung über den Tod hinaus ist Auslegungsfrage

Wird in einer Vollmacht nicht ausdrücklich geregelt, ob dieselbe über den Tod des Bevollmächtigenden hinaus Wirkung zukommen soll, so ist diese Frage im Wege der Auslegung zu klären. In der Vergangenheit hatten Obergerichte für die praktisch bedeutsamen Vorsorgevollmachten angenommen, dass diese auch im vermögensrechtlichen Bereich im Zweifel mit dem Tod des Vollmachtgebers enden, wenn sich nicht aus der Vollmacht ausdrücklich ein anderes ergibt (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 17. 9. 2002 – 15 W 338/02; OLG München, Beschl. v. 7.7.2014 – 34 Wx 265/14). Eine zeitliche Beschränkung der Vollmacht auf die Lebenszeit des Bevollmächtigenden ergäbe sich aus in diesen Vollmachten oftmals enthaltenen Formulierungen, wonach durch die Vollmachtserteilung „eine vom Gericht angeordnete Betreuung vermieden werden“ soll.  

§§ 672, 675 BGB gehen von transmortaler Vollmacht als Regelfall aus

Bei einem derartigen Auslegungsverständnis wird jedoch verkannt, dass der Tod des Erblassers gemäß §§ 168, 672 BGB in der Regel nicht zum Erlöschen der Vollmacht führt. Diesen Gesichtspunkt stellt nun erfreulicherweise das OLG Karlsruhe in einer aktuellen Entscheidung (Beschl. v. 17.08.2023 – 19 W 60/23) in den Mittelpunkt seiner Vollmachtsauslegung. Die Beteiligten hatten unter einem als „Vorsorgevollmacht“ überschriebenen Dokument beim Notar die Unterschriften beglaubigen lassen. Dieses enthielt in § 9 folgende Passage: „Ferner hat mich der Notar darauf hingewiesen, dass diese Vollmacht über den Tod hinaus wirkt (…)“. Nach dem Tod des Vollmachtgebers lehnt das Grundbuchamt anlässlich eines Immobilienverkaufs die Geltung der Vollmacht über den Tod hinaus ab. Inhaltlich spreche nichts für eine derartige Fortgeltung. Die in der Vollmachtsurkunde enthaltene notarielle Belehrung sei ersichtlich lediglich versehentlich nicht aus dem Entwurf gestrichen worden, da weitere Formulierungen verwendet worden seien, die nur bei einer beurkundeten, nicht aber bei einer lediglich unterschriftsbeglaubigten Vollmacht sinnvoll sind.

OLG Karlsruhe: Individuelle Auslegung bestätigt transmortale Fortgeltung der Vollmacht

Das OLG hebt den Beschluss des Grundbuchamtes auf. Ausgehend von dem Grundsatz des Fortbestehens von Vollmachten über den Tod des Vollmachtgebers hinaus, spreche auch im zu entscheidenden Fall die Auslegung der Vollmachtsurkunde für dieses Ergebnis. Neben der Tatsache, dass der Schwerpunkt der Vollmacht nicht auf der Gesundheitsfürsorge, sondern auf die vermögensrechtliche Vertretung lag, spreche die in § 9 enthaltene Belehrung dafür, dass eine transmortale Wirkung der Vollmacht gewünscht gewesen sei. Zu einem ähnlichen Auslegungsergebnis kommt jüngst auch das OLG Bremen (Beschl. v. 31.8.2023 – 3 W 15/23).

Fazit

Die vorstehenden Gerichtsentscheidungen veranschaulichen sehr plakativ die Risiken, wenn Beteiligte (oftmals aus Kostengesichtspunkten) ungeprüfte Vollmachtsentwürfe beim Notar lediglich unterschriftsbeglaubigen lassen. Ist die Vollmacht dann als Vorsorgevollmacht tituliert und enthält keine ausdrückliche Anordnung der Fortgeltung über den Tod hinaus, wird der restriktiven Auslegung durch Gericht oder sonstige Dritte Tür und Tor geöffnet. Das OLG Karlsruhe hat hier zwar einen zu begrüßenden Kontrapunkt gesetzt. Jedoch ist diese Einzelfallrechtsprechung kein Ersatz für eine vorausschauende und unzweideutige Formulierung der Vollmacht durch den beurkundenden Notar.

Haben Sie zu diesem Thema Fragen oder Anregungen? Dann sprechen Sie meine Mitarbeiter oder mich gerne an.

Dr. Hannes Klühs

25 Jan, 2024